Unsere Sehnsucht zu Musizieren
Unsere musikalischen Rituale bewegen sich heute meist zwischen Musik-Hören per Knopfdruck oder seltenen Konzertbesuchen. Wir konsumieren nicht nur unsere Nahrung aus Konserven sondern auch die Kunst. Unsere Bequemlichkeit und die Werbung lassen uns die unglaubliche Befriedigung des „Selbstgemachten“ vergessen. Das lebendige Tun, und die eigene Kreativität werden den “Begabten” überlassen. Der Hoch-Leistungszwang unserer Gesellschaft hat uns gründlich den Spaß am musikalischen Erleben verdorben. Den vielen Eindrücken unseres Alltags stehen zu wenig kreative Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber.
Durch stimmlichen oder instrumentalen Selbstausdruck komme ich meiner eigenen Schöpfung näher. Die eigene Erfahrung des Musizierens, lässt mich meine Lebendigkeit fühlen, und ist durch nichts zu ersetzen.
Bis heute habe ich die Worte meiner Eltern im Ohr: „Mach bloß nichts mit Musik. Das ist eine brotlose Kunst.“ Erstaunlich, dass sie sich trotz einiger „Umwege“ nun doch als meine Berufung durchgesetzt hat. Über ein Dirigierstudium, einen Lehrauftrag an der Saarbrücker Musikhochschule, pianistischer Tätigkeit an Theater und Waldorfschule sowie Begleitungen beim Bundeswettbewerb Chanson-Song-Musical, versuche ich nun seit elf Jahren in Seminaren und Konzerten „handgemachte“ Musik aus allen Erdteilen unter die Menschen zu bringen. Dabei hat das Trommeln genau den gleichen Stellenwert, wie das Klavierspielen.
Ich kann heute in der Praxis nicht mehr Ernste und Unterhaltungsmusik unterscheiden (so wie es im Abrechnungsmodus der GEMA heute noch geschieht). Jede Musik, die ein Mensch zum Ausdruck bringt – sei er Laie oder Profi – ist ein göttlicher Ausdruck seiner schöpferisch-kreativen Möglichkeiten.
Bei unserer heutigen Technik: Radio, Fernsehen, Tonband, Video, CD-Spieler, Keyboard etc. grenzt es schon an ein Wunder, das einige Leute sich trauen, ohne Strom auf einem Instrument Töne von sich zu geben. Bei den auf uns einstürzenden Medien-Informationen glauben wir, ohne eine 1000 Watt-Anlage nichts Beeindruckendes mehr zustande zu bringen.
Dabei sind es gerade die zarten Töne, die uns am meisten berühren. Und Hand aufs Herz: Glauben Sie, das Sie so etwas Berührendes tun könnten?
Wenn nicht, so möchte ich Ihnen Mut machen, es einmal auszuprobieren. Für sich ganz allein. Summen Sie ein leises M, so, als wenn Sie ein Wiegenlied summen würden. Lassen Sie sich los. Lösen Sie alle Spannungen die Sie noch wahrnehmen, und träumen Sie mit Ihrer Stimme. Lassen Sie die Töne entstehen, die erklingen wollen. Gehen Sie zu dem Punkt, an dem Sie als Kind schon einmal waren: Vorurteilsfrei mit Ihrer Stimme zu spielen.
Genießen Sie diese Freiheit, die Ihnen niemand nehmen kann. Spüren Sie die wohltuenden Vibrationen in Ihrem Innern?
Mit sechs Jahren spielte ich alles auf dem Klavier was mir zu Ohren kam. Aus zwei Gründen.
Erstens: In unserem Wohnzimmer stand eines, und zweitens: Mein Vater spielte Klavier, der sich als (sehr guter) Barpianist in renommierten Hotels sein Brot verdiente. Als kleiner Junge hatte ich das Glück, ohne viele Beurteilungen, was mein Klavierspiel anbelangte,aufzuwachsen. So konnte ich, zum Leidwesen der übrigen Hausbewohner, meinen großen Ideenreichtum musikalisch umsetzen. Ich nahm eines Tages – inspiriert durch einen Cowboyfilm – unser Klavier auseinander, und befestigte Reißnagel an den Filzschlägeln.
Unser altes Klavier klang daraufhin genauso, wie das, was gerade im Saloon des Westerns zu hören war.
Was ist eigentlich das Faszinierende an der Musik? Könnten Sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen? Ist Ihnen die Bedeutung der Musik für Ihr Leben bewusst?
Wenn Sie sich durch das Singen oder dem Spiel eines Instrumentes mit den musikalischen Elementen RHYTHMUS (Trommel) – MELODIE (Stimme) – HARMONIE (Zusammenklang) beschäftigen, bekommen Sie den Kontakt zu den Wurzeln unserer Musik und zu sich selbst.
Sie spüren am eigenen Leib, was Schwingung bedeutet, da Sie diese mit Ihrer eigenen Stimme und Ihren Händen in musikalischer Form zum Ausdruck bringen. Haben Sie schon einmal eine Afrikanische Trommel gespielt oder Afrikaner trommelnd, singend und tanzend erlebt? Dann wissen Sie, was ich meine. Die eigene musikalische Betätigung, und noch verstärkt durch eine Gemeinschaft, bringt so viel Freude, Spaß und Lebensenergie, dass es sehr sonderbar ist, warum wir dies so selten tun. Ängste und Vorurteile – eigene, oder die unserer Umgebung – lassen es uns nicht mal versuchen.
Fragen Sie sich bitte, ob Sie einen tiefen Wunsch nach einem Instrument oder Ihrer Stimme haben. – Lassen Sie alle Hemmungen, Vorurteile und Barrieren fallen, die Sie bisher daran gehindert haben und erfüllen Sie sich diesen Wunsch. Die Erfüllung kann Ihr Leben verändern.
Im Grunde unseres Herzens haben wir alle den Wunsch, uns musikalisch auszudrücken.
Denken sie an Ihre Kindheit oder die ersten Schuljahre zurück, und Sie können sich bestimmt an ein ungehemmtes, fröhliches Kind erinnern. Warum haben wir heute, als Erwachsene, eine solche Angst vor dem Singen? In anderen Kulturen gehört das Singen und Tanzen bei jeder passenden Gelegenheit praktisch zum Alltag. Wir lassen spielen; indem wir das Radio oder den Fernseher einschalten.
Und so ist unser “Musik-Verhalten” ein Spiegel unserer Leistungsgesellschaft. Wir vergleichen uns sehr schnell mit dem, was uns die Medien, per Fernsehen und CD ins Haus liefern. Wir hören technisch perfekte Musikkonserven und verlieren den Mut zur eigenen musikalischen Kreativität.
Wir können sprechen, bevor wir lesen und schreiben gelernt haben. Wir können Singen, bevor wir die Notenschrift beherrschen. Und alle musikalischen Unterweisungen in der westlichen Kultur verlangen von uns genau den umgekehrten Weg zu gehen. Nämlich über den Kopf, also über die Notenschrift Musik zu machen. D.h. zu reproduzieren, was ein anderer Mensch sich ausgedacht hat. Auch wenn dieser – meist ein Komponist eines anderen Jahrhunderts – phantastische Musik geschrieben hat, so ist es nicht der Ausdruck meines eigenen Empfinden, und die fehlerfreie Ausführung verlangt meistens eine lang geübte Technik. Ich glaube jeder von uns hat diese, meist unangenehmen Erfahrungen beim Instrumentalunterricht gemacht.
Es gibt keine falschen Töne, genau so, wie es kein falsches Wetter gibt.
Wer nicht das große Glück hatte, einen Menschen an seiner Seite zu haben, der uns erst einmal auf das Wahrnehmen und Hören, als wichtigste Voraussetzung für das Musizieren, aufmerksam gemacht hat, oder die Laute der Natur – sei es ein Vogel, ein Bachglucksen oder ein Wasserfall, zu entdecken gelehrt hat, musste den beschwerlicheren Weg gehen.
Ich hörte in einer interessanten Sendung über das Hören von einem Franzosen Namens Viktor Knud. Er berichtete, wie er zu seiner Aufnahmebegeisterung von Naturgeräuschen gekommen ist. Und seine Erzählung, sowie das sehr kurz zu hörende Beispiel ließen mir auch keine Ruhe: Es waren die Geräusche eines schlafenden Hasen! So unglaublich es klingt:
Man meint, ein Kind zu hören, was gerade träumt. Ein schlafender Hase gibt Töne von sich, die wir durchaus als emotionale Reaktionen akustischer Art interpretieren können.
Die heilsame Wirkung auf den musizierenden Menschen selbst, zeigt sich nicht nur offensichtlich jedem, der einen solchen beobachtet. Kinder und Erwachsene, die frei improvisierend ohne Noten spielen, weisen einen verklärten und ruhigen Gesichtsausdruck auf, als wenn sie sich in einer anderen Welt befänden. Und dies kann ich nur bestätigen. Es ist die innere Welt der Phantasie und des Glücks.
Abgesehen von der geistigen Konzentration, macht sich das „Spiel“ quasi selbständig und man hört zu, wie „ES“ geschieht. Die Töne werden gewissermaßen unbewusst von einer inneren Instanz aneinander-gereiht. Meine Kontrolle steht während dessen nicht im Vordergrund, und damit auch nicht im Wege.
Einen Beweis bekam ich in die Hände, als ich meine Gehirnströme beim Musizieren aufzeichnen ließ. Ich wusste, dass ich mich tief in diesen Prozess versenken konnte, aber dieses Ergebnis hatte mich doch überrascht: Meine Hirnhälften zeigten Theta- und Deltawellen auf, die sonst nur im Tiefschlaf oder Trance nachzuweisen sind. Die Aktivität beider Hirnhälften war ausgeglichen und fast identisch.
„Musik ist die Medizin der Zukunft.“ Edgar Cayce
Die Musik ist hörbares Abbild des Weltalls. Schon ein kleines Lied ist ein Sinnbild des Daseins. Musik ist auch Liebe und Gemeinschaft; wir üben miteinander zu wirken und aufeinander zu hören. Deshalb ist es auch so wichtig, sie zu kultivieren. Sie hat große Auswirkungen für unsere Gesellschaft. Musizierende Menschen sind friedvolle Menschen.
Das meditative Schwingungserleben in uns ist ein kraftvolles und heilendes Energiepotential.
Ein Naturphänomen, in dem die Dimensionen des Klanges als Verbindung von Körper und Geist, offenbar werden. Die Vibrationen des Instrumentes oder durch die eigene Stimme werden im ganzen Körper des Spielenden reflektiert, und haben harmonisierende und somit heilsame Wirkung.
Improvisation & Transformation
Ich habe mich immer gesträubt, musiktherapeutisch zu arbeiten. Vielleicht aus dem einfachen Grund, keinen Bezug dazu zu haben, und mich durch keine derartige Ausbildung qualifiziert zu haben. Aber ich musste langsam einsehen, dass alles was ich mit Menschen in Kurs – oder Lehrtätigkeit übte, Musiktherapie war. Der Mensch und die Natur streben zur Harmonie. Wenn eine Gruppe einen chaotischen Klang produziert, also jeder singt einen anderen Ton, dann klingt dieses „Chaos“ ganz erstaunlich, in gewisser Weise einmalig und wunderbar. Er symbolisiert das Individuelle in der Gruppe. Nach einiger Zeit wird man eine Angleichung bemerken, die in einem Ton oder in einer Harmonie, entweder in Dur oder Moll münden wird. Ein Phänomen das wie von selbst geschieht.
„Durch das Ohr dringen die Töne in das Innere der Seele.
Sie können durch ihre Gestalten und Zusammenhänge
den Menschen nicht nur bilden und formen, sondern ihn
auch beeinflussen, zum Guten oder zum Bösen.“
Platon, 347 v. Chr.
Warum machen wir eigentlich Musik? Welchen Zweck verfolgen wir? Wir tun doch nur immer etwas, wovon wir wissen, dass wir einen ganz bestimmten Nutzen aus dieser Tätigkeit ziehen werden. Wie steht es denn dann mit unserer musikalischen Betätigung?
Wir möchten immer alles interpretieren und allem eine Bedeutung beimessen. Was uns sehr schwer fällt, ist das Annehmen des reinen Seins. Ohne etwas in eine Kategorie einzuordnen.
Einfach sein zu lassen. Es sein lassen.
Immanuel Kant, der Deutsche Philosoph des 18. Jahrhunderts, soll gesagt haben: “Es gibt zwei Dinge, die nichts zu bedeuten brauchen: Die Musik und das Lachen”.
Um auf das musikalische Ritual zurückzukommen, möchte ich hier nur die Entwicklung der Techno-Szene erwähnen. „Musik“, das viel zu Laute, auf Metrum, Rhythmus und schnelle synthetische Tonfolgen reduzierte Erlebnis. Eine für viele Menschen unverständliche und nicht nachvollziehbare Erscheinung, die schlimmer scheint, als die Discobesuche der vorigen Generation. Die verheerenden Spätfolgen sind irreparable Schwerhörigkeit, vor der die Ohrenärzte immer wieder warnen. Aber was suchen denn die meist jüngeren Menschen, oder besser gesagt: Was finden sie in dieser meist vielstündigen, lauten, monotonen und extatischen Musik- und Tanzbewegung?
Sie finden das, was ihnen die Eltern, die Gesellschaft oder ihre Religion nicht mehr bieten kann, weil sie es im Laufe der Zeit verlernt und verdrängt hat: Eine Möglichkeit, zu sich selbst zu finden, durch intensivste Gefühle ihres Körpers und anderen Bewußtseinsebenen. Ein Vergessen des Alltags mit seinen Problemen, durch das Eintauchen in tranceartige Zustände.
Die Möglichkeit, sie selbst zu sein. Sie finden möglicherweise die in unserer Gesellschaft vergessene Initiation vom Kind zum Erwachsenen, der auch als solcher akzeptiert wird und nicht mehr sein Leben lang als Kind seiner Eltern gesehen und behandelt wird.
Die Berührung zu unserer ureigensten Musikalität, gibt uns ein Gefühl von Glück, Gelassenheit, innere Ruhe und Freiheit. Wir fühlen unser eigenes, großes Kraftpotential durch die Musik. Musik, als Verbindung und Brücke zwischen Materie und Geist, macht uns das HOLOGRAMM dieser Welt bewusst.
Die Indische Kultur hat es mit den Worten „Nadha Brahma“ ausgedrückt: Die Welt ist Klang.
In diesen Schwingungen, vom kleinsten Elementarteilchen bis zu den Planeten, sind wir mit dem Universum und unserer Welt verbunden.
Und keine anderen Worte drücken treffender aus, was Musik für uns bedeutet, als die, von Richard Wagner:
“Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen, als in Liebe.“
Artikel von Michael Reimann für die Zeitschrift „Publik Forum“ vom 17. Juni 1998
Literaturhinweise:
•Das Didgeridoo, M. Reimann, Buch & MC, Verlag Pamedia Zürich, ISBN 3-907073-60-6
•Der Klangraum, M. und B. Reimann, Verlag Pamedia Zürich, ISBN 3-907073-61-4
•Entdecke die Musik in Dir, M. Reimann, Kösel Verlag, München 1998, ISBN 3-466-36508-2
•Trommelschule M. Reimann, Schirner Verlag Darmstadt, ISBN 3897679191
•Das Klangschalenbuch, M. Reimann, Schirner Verlag Darmstadt, ISBN 3897671573
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